
Die grüne Revolution neben dem Herd
Es wuchert im Wohnzimmer. Zimmerpflanzen, wohin das Auge schaut. Urban Green ist angesagt. Auf Instagram lassen sich wahre Dschungel in den heimischen vier Wänden der sogenannten Plantfluencer bewundern. Und die Dschungel breiten sich aus. Jetzt ist die Küche dran. Was ins Wohnzimmer passt, kann der Küche nur recht sein. Nur, dass das lauschige Grün hier noch eine besondere Funktion bekommt: Man kann es essen.
Vertical Farming nennt sich die Idee, die aus der Küche einen Garten macht. Gemüse-, Salat- und Kräuteranbau nicht in der Fläche, sondern in der Höhe. Und es funktioniert. Vom Mini-Gewächshaus für die Kresse auf der Fensterbank bis zum wohltemperierten Brutschrank reichen die Varianten. Die „Smart Gardens“ haben fantasievolle Namen wie Greenloop, Our Greenery oder Urbanhive, die alle ihren Zweck andeuten: eine kleine grüne Revolution neben dem Herd.
Optimale Bedingungen für Kräuter
Das Hydroponik-Prinzip ist einfach: Samen werden in Substrat oder Pads in kleine Blumentöpfe gebettet und bekommen beste Wachstumsbedingungen durch optimales Licht, Dünger in den Pads oder Nährlösungen, in denen die Wurzeln hängen. Nach ein paar Tagen (bei Microgreens) oder Wochen (bei Salat) kann geerntet werden. Ohne Pestizide, Gentechnik oder Verschmutzungen. Und das monatelang immer wieder, ohne dass ständig neue Kräuter oder Gewürze wie Koriander, Chili, Minze oder Basilikum nachgekauft werden müssen. Ja sogar Erdbeeren wachsen mitunter in der eigenen Küche. Und anders als im Garten muss man bei hydroponischen Systemen nicht darauf achten, welche Pflanzen nebeneinander stehen.
Die Umsetzung ist mitunter äußerst raffiniert: Es beginnt bei gestylten Indoor-Blumenkästen für vier bis acht Pflanzen mit integrierten LED-Leuchten. Den grünen Daumen ersetzen in den ausgefeilteren Systemen Apps, die die Sensordaten der Hydrokulturen analysieren und den Küchengärtner:innen Bescheid sagen, wann gegossen oder gedüngt werden muss. Notfalls per Push-Nachricht aufs Handy.
Smart Gardens: ein Erlebnis für alle Sinne
Jonas Hülskötter vom Münsteraner Start-up Urbanhive: „Es geht uns aber nicht nur darum, Frisches zu Hause zu produzieren. Wir bieten auch ein multisensorisches Erlebnis. Es ist einfach herrlich, jeden Morgen in die Küche zu kommen und zu sehen, wie sich die Pflanzen wieder ein bisschen weiterentwickelt haben. Gerade Kinder sind davon wie gebannt.“ Bis zu 15 Pflanzen passen in die Urbanhive-Kästen, die als Dreier-Set an die Wand gehängt werden und so keinen kostbaren Platz in der Küche belegen.
Immer das richtige Licht
Ein besonders ästhetisches und technisch ausgeklügeltes System haben sich die Gründer des Hamburger Start-ups Greenloop ausgedacht: Ihr „Beet“ hängt als sich drehende Scheibe an der Wand und wird so zum ultimativen Hingucker. 18 verschiedene Pflanzen fasst das System und jede kann via App genau das gerade passende Licht bekommen. „Wir konzentrieren uns auf die Keim- und Wachstumsphase“, sagt David Burkhardt, einer der Gründer. „Unsere LED-Pflanzenwachstumsleuchten decken das gesamte Lichtspektrum ab, das die Pflanzen brauchen: Weiß, Tiefblau und Hyperrot. Wir können das Licht für jede einzelne Pflanze rotationsabhängig steuern.“ Per App wird der QR-Code auf der Verpackung der Samen-Pads eingescannt. Das Programm des Greenloops läuft wochenlang, weiß immer genau, welches Licht gerade zur Wachstumsphase passt und sagt über die App auch den besten Erntezeitpunkt voraus. Eine Füllung des 4,5-Liter-Tanks in der Rückwand reicht ein bis drei Wochen, je nach Pflanzen.
Neue Möbel für die Küche
High End ist der „Raumgarten“ von Our Greenery, der vor allem auf Familien, Teamküchen oder gehobene Restaurants abzielt. 60 Pflanzen finden in dem einen Meter breiten Gewächsschrank Platz, der sich voll in eine Küche integrieren lässt, aber auch ohne Wasseranschluss als Einzelmöbel funktioniert. „Damit lassen sich zwischen sieben und neun Kilo Kräuter und Gemüse ernten“, sagt Daniel Bosman, der das Start-up zusammen mit seinem Bruder Florian in Berlin gegründet hat. „Wir sind überzeugt, dass in Zukunft mehr und mehr Menschen zu Hause nachhaltig Lebensmittel anbauen. Wir würden uns freuen, wenn die Leute damit einfach experimentieren und ausprobieren würden, was für ihre Bedürfnisse am besten funktioniert.“ Zusammen mit Köchen wie dem Berliner Arne Anker („BRIKZ“) arbeitet Our Greenery gerade an individuellen Pflanzen-Kollektionen, mit denen man beispielsweise die speziellen Gewürze und Kräuter seines Lieblingsrestaurants auch in der eigenen Küche anbauen kann.
Alles im Haus und die Umwelt wird geschont
Die Vorteile des Vertical Farmings liegen auf der Hand: Man hat ständig gesunde, frische Kräuter, Salat und Gemüse im Haus, die Samen sind biozertifiziert, überhaupt ist das ganze System ökologisch mehr als sinnvoll, weil Wasser, Energie, Transporte und Verpackungen eingespart werden. Das ist aber noch nicht alles. Man muss es ja nicht gleich ganz so pathetisch ausdrücken wie die Marketingleute eines Herstellers, die schreiben: „Der gewohnte Umgang mit heimischem Grün hat wohltuende Wirkung auf unsere Seele. Wir wollen die Menschen dazu befähigen, ihr Leben positiv zu verändern.“ Aber trotzdem gilt: Der Umgang mit den Pflanzen beruhigt, Kinder werden ein bisschen an die Natur herangeführt – und Trendbewusste sind stylish wirklich up to date.
Photos: © Greenloop, © Urbanhive, © OurGreenery






