
Ein scharfes Duo
Im Schatten der Kampenwand produzieren Luca Distler und Florian Pichler die wahrscheinlich besten Messer Deutschlands. Jedes für sich ein ultrascharfes und präzise ausgewogenes Meisterwerk der Handwerkskunst, ein Liebhaberobjekt, ein Mythos.
Bis zu 350 Lagen Damaszener-Stahl, extrem verdichtet auf einen Millimeter Stärke – das ist die Ultra-Kurzbeschreibung eines Kunstwerks. Eines Messers von Luca Distler und Florian Pichler, den Gründern des Messer-Werks in Aschau im Chiemgau in Bayern. Maximal ein gutes Dutzend Messer verlässt im Monat die Werkstatt, die genauso aussieht, wie man sich eine Werkstatt vorstellt: hohe Räume, massive Werkbänke, klobige Hämmer, die an der Wand hängen, grün lackierte Metallbearbeitungsmaschinen aus den Sechzigern, denen man ansieht, was sie tun. Da zischt es, da sprühen die Funken, da spritzt kühlendes Wasser auf heißen Stahl. Und es riecht nach Schlosserei, nach Schmiede.
Ein Buben-Traum
Genau hier hat alles angefangen. Luca Distler hat hier in dieser Halle eine Ausbildung als Kunstschmied gemacht, gelernt, wie man Fenster oder Geländer schmiedet. Irgendwann hat er sich nach Feierabend an einem Messer probiert. Oder wie Distler in seinem feinen Bayerisch sagt: „Bei uns hat jeder Bua in einem gewissen Alter ein Messer in der Taschn, um einen Stock zu schnitzen. Messer haben mich einfach interessiert.“ Das Ergebnis: „Es war rattenscharf und hat mich total geflasht.“

Von Goldzähnen zu blankem Stahl
Er machte weiter und war vor allem mit einem unzufrieden: dem Griff. Aber wozu hat man Freunde? Florian Pichler lernte zur gleichen Zeit Zahntechniker, gab Goldzähnen den letzten Schliff. Mit seinen feinmotorischen Fähigkeiten war er genau der Richtige. Zusammen lasen sie Fachbücher, probierten und tüftelten. Ihre Messer entstanden zuerst in einem finsteren Keller, dann in einer angemieteten Garage, später im ungeheizten Antriebsraum eines Sägewerks und wurden immer besser.
Mit Leidenschaft Geld verdienen
Ein Freund hatte auf einem Handwerkermarkt noch einen Meter Stand frei, sie kamen mit und wunderten sich über das Interesse an ihren Arbeiten und dass sie gleich zwei ihrer schlichten, geraden, sehr präzisen Messer für ein paar Hundert Euro verkaufen konnten. „Da haben wir gemerkt, dass wir mit unserer Leidenschaft sogar Geld verdienen können.“ Zumindest kamen die Kosten wieder herein und ihre Arbeitszeit wurde bezahlt. „Wir hatten als Lehrlinge überhaupt kein Geld. Wir haben Altmetall und alte Werkzeuge zusammengesucht“, erzählt Luca Distler, „und jeden Euro, der reinkam, sofort wieder in Werkzeug und neues Material investiert.“
Der Ethos japanischer Handwerksmeister
Sie arbeiteten jede freie Minute an ihren Messern. „Das war uns unglaublich wichtig“, sagt Luca Distler. „Wenn unsere Freunde feiern gegangen sind, sind wir in die Werkstatt und haben weitergemacht. Wir sind Handwerker mit Leib und Seele, und gute Handwerksarbeit hat für uns auch etwas mit Ehre zu tun.“ Die hohe Schule japanischer Handwerksmeister ist ihnen nicht nur von der Qualität, sondern auch von deren Arbeitsethos her Vorbild: „Wir wollen unseren Messern einen Mehrwert an Seele mitgeben.“ Sie wurden besser und besser, arbeiteten jetzt mit Stahl. So ganz allmählich professionalisierte sich das Duo – und macht sich schlussendlich 2004 als Messer-Werk selbstständig.
Es geht um Nuancen
Dazu muss man vielleicht wissen, dass es eine richtige Szene von Messer-Enthusiasten gibt, die sich auf Messen und in Foren intensivst über jedes Detail eines Messers austauschen. Und die Messer aus Aschau fanden immer mehr Anklang unter den Messerfans. Das lag und liegt mit Sicherheit auch daran, dass die beiden keine Ruhe geben, sich nie auf ihren (zahlreichen) Lorbeeren ausruhen und immer versuchen, noch etwas Neues auszuprobieren, etwas zu perfektionieren, eine neue Idee umzusetzen, Nuance um Nuance zu verfeinern.
Bei 1200 Grad wird der Stahl „teigig“
Man muss nur das Funkeln in den Augen von Luca Distler sehen, wenn er drei unscheinbare Profilschleifsteine zeigt, die Distler irgendwo entdeckt hat. „Nach so etwas hatte ich immer gesucht“, sagt der Messerschmied. „Damit eröffnen sich für mich völlig neue Möglichkeiten in der Bearbeitung. Ich bin ja immer noch im Lernstadium und das wird hoffentlich nie aufhören.“ Für die beiden vom Messer-Werk ist nur der beste Stahl von ausgewählten Stahlhändlern („Die lachen über unsere Bestellmengen“) gut genug. Bei rund 1.200 Grad Celsius werden die einzelnen Lagen Stahl geschmiedet. Dabei kommt es auf die exakte Temperatur an. Wann die erreicht ist, kann man an der Farbe des heißen Stahls und an seiner Konsistenz erkennen, ein Thermometer gibt’s da nicht. Wenn die Temperatur stimmt, wird der Stahl „teigig“, wie Distler es nennt, und die einzelnen Lagen verbinden sich, ohne dass der Stahl schmilzt. Zahlreiche Arbeitsgänge folgen, bis eine scharfe Klinge mit dem für Damaszener-Messer so typischen wellenförmigen Muster fertig ist. Jede Wellenlinie steht für eine andere hauchdünne Lage Stahl, und je nach Schliff entsteht das raffinierte Wellenbild.
„Wir verkaufen Gefühle“
„Manche Kunden kommen zwei Mal und diskutieren mit uns stundenlang, wie ihr Messer aussehen soll“, erzählt „Flo“ Pichler. „Für viele sind es Sammlerstücke, die sie sorgsam pflegen, ölen und immer wieder herausholen und betrachten. Wir verkaufen Gefühle und Geschichten, nicht nur gute Messer. Wenn wir mit den Kunden sprechen, geht es um die Art des Messers – Kochmesser, Brotmesser, Jagdmesser, Klappmesser, um die Länge der Klinge und natürlich um den Griff. Wir sehen es als unsere Aufgabe, die Kunden zu sensibilisieren, sich zusammen mit uns mit ihrem Messer auseinanderzusetzen. Das ist viel Aufklärungsarbeit, die uns Zeit kostet, aber sonst können wir sie nicht bedienen.“
Griffe aus Mammut-Elfenbein
Mit der Klinge ist so ein edles Messer ja noch lange nicht vollendet. Und beim Griff sind weder der Fantasie noch dem Preis Grenzen gesetzt. Im kleinen Ausstellungsraum des Messer-Werks – die beiden haben die Werkstatt eines Tages von Distlers Kunstschmiede-Chef übernommen – zieht Florian Pichler Schubladen auf. Die eine ist voller feiner Hölzer in den unterschiedlichsten Farben („Das ist zum Beispiel Mooreiche, die mag ich besonders gerne“), in einer anderen liegen rare Einzelstücke von Mammut-Elfenbein oder von Mammut-Backenzähnen. „Natürlich verwenden wir kein Elefanten-Elfenbein“, sagt Pichler, „aber die Mammute sind ja leider schon ausgestorben.“
Anfragen bis aus Arabien
Dafür fragen Kunden aus Nahost oder Asien gerne auch nach Goldarbeiten oder solchen mit Edelsteinen. Im Schaukasten zeigt ein Krummdolch, dass die Kundschaft inzwischen längst aus aller Welt kommt. „Wir sind stolz, dass wir Kunden aus Pakistan und Saudi-Arabien haben. Das zeigt die Wertschätzung, denn dort gibt es schließlich auch exzellente Handwerker“, erklärt Pichler. Bei allem Stolz auf ganz besondere Prunkstücke ist den beiden aber eines besonders wichtig: dass ihre Messer auch funktional sind. Sie bestechen durch Geradlinigkeit, Eleganz, sauberste Linien und absolute Präzision, sind stabil, robust, widerstandsfähig und extrem langlebig.
Text: Peter Würth Photos: Manuel Uebler











