
Kolumne Kitchen Love
Der Schnippelking
Auch niedere Küchentätigkeiten können ungeahnte Freuden bereiten. Beobachtungen von Peter Würth.
Auch Menschen, die beim Kochen zwei linke Hände haben, sich schon mit Mirácoli überfordert fühlen oder für die essen schlicht und einfach Nahrungsaufnahme ist, entwickeln bei einer Küchentätigkeit mitunter ungeahnte Talente: beim Schnippeln. Nicht, dass sie gleich in der Rasanz von eitlen Fernsehköchen Zwiebeln klein schneiden könnten – das wäre wahrscheinlich auch nicht gut für ihre Fingerkuppen, aber sie sind immerhin in der Küche für etwas zu gebrauchen. Stolz, sich auch einmal nützlich machen und dem Klischee des kücheninkompatiblen Koch-nicht-guts widersprechen zu können, widmen sie sich mit Inbrunst besagter Zwiebel, einer Stange Lauch oder der Petersilie. Endlich einmal produktive Arbeit, endlich einmal ein Ergebnis, das man nicht nur sehen, sondern sogar essen kann.
Man ist zu etwas nutze
Da tut es der neu entdeckten Leidenschaft keinen Abbruch, dass die Stückchen nicht gleichmäßig geschnitten sind und das Ganze seine Zeit dauert. Man sieht, was man tut, und befindet es für gut. Nach einer halben Zwiebel wird gefragt: „Reicht das schon?“, und man kann die Freude, weiterschnippeln zu dürfen, weil’s natürlich noch lange nicht reicht, förmlich vom Gesicht ablesen. Man ist beim Kochen zu etwas nutze. Man wird gebraucht und ohne die verantwortungsvolle eigene Tätigkeit blieben die Mägen der Familie unzweifelhaft leer. Die Zwiebel, der Lauch, die Petersilie, die der Schnippelking da zerkleinert, ist natürlich die alles entscheidende, wichtigste Zutat zum Sonntagsessen, sonst hätte man sie ja nicht dem Herrn des Hauses überlassen.
Allein mit der Zwiebel
Und außerdem macht das Schnippeln ja ausgesprochen Spaß. Es hat etwas Kontemplatives, sich alleine auf eine Zwiebel und ein (hoffentlich scharfes) Messer zu konzentrieren und die Welt um sich herum zu vergessen. Schnippeln ist ein Kunsthandwerk, bei dem man sich den Takumi, den legendären japanischen Handwerksmeistern, seelenverwandt fühlen kann. Da kommt es auf Erfahrung und Technik an. Erfahrung sammeln wir gerade, aber Technik? Wo muss man ansetzen, wie die Klinge führen? Wie wird überhaupt eine Zwiebel geschnitten? Da muss es doch Lifehack-zwiebelschneide-Youtube-Videos geben, die einem die besten Tipps verraten ... Schnell mal aufs Handy schauen. Ah, siehe da: Die Zwiebel schälen und halbieren, dabei den Strunk dranlassen, dann die Zwiebel alle ein, zwei Millimeter einschneiden und dünne Scheibe für dünne Scheibe abschneiden. So entstehen weitgehend gleich große Zwiebelstückchen, und es geht ziemlich zügig.
Geht das nicht einfacher?
Man muss so einen komplexen Fertigungsprozess eben nur strukturiert angehen, dann entstehen Effizienz und Produktivität. Apropos Produktivität: Tauchte da auf dem Handy im Netz nicht eben eine Anzeige für einen elektrischen Zwiebelschneider auf? Formschön, praktisch, schnell und abwaschbar. Das ideale Haushaltsgerät und das perfekte Geburtstagsgeschenk. Damit wäre das Schnippeln doch viel schneller erledigt, man müsste nicht heulen und hätte sonntags Zeit, in Ruhe „Doppelpass“ zu schauen. Aber wir wollen ja keine Klischees bedienen ...
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